„Ganz Ohr sein, durch das Ohr ganz sein“ – ein Gastbeitrag der Logopädin Viola D.

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„Nicht sehen können trennt von den Dingen, nicht hören können trennt von den Menschen.“

Dieses Zitat, dass Immanuel Kant zugeschrieben wird, versucht uns die Empfindung, das Gefühl näher zu bringen was es heißt, schwerhörig oder taub zu sein.

Die Wahrnehmung des Hörens wird von Normalhörenden so selbstverständlich angenommen, dass durch eine solche Aussage keine wirkliche Vorstellung davon vermittelt werden kann, was es wirklich bedeutet „von den Menschen getrennt zu sein“.

Selbst die Tatsache, dass in unserem Umfeld immer wieder Menschen mit einer Hörschädigung leben, hilft nicht unbedingt zur Vermittlung eines tieferen Verständnisses für diesen Zustand.

Es ist schwer, sich in eine körperliche Verfassung einzufühlen, die man selbst nicht erfahren hat; ebenso, sich damit auseinander zu setzen.

In ihrem Buch „Ich bin schwerhörig – und das ist auch gut so!“ beschreibt die Ärztin Frau Dr. Schultens-Kaltheuner in ihrem Fazit genau dieses Phänomen, dass das Unterstützen und Weiterhelfen am besten gelingt, wenn aus eigener Erfahrung gesprochen werden kann.

Als Dozentin für Hörschädigung und Logopädin am CI-Rehabilitationszentrum Tübingen kann auch ich nur im Ansatz verstehen was es bedeutet, mit einer Hörbeeinträchtigung zu leben. Doch durch intensive, sehr berührende Gespräche und den beruflich bedingten Kontakt zu vielen, ganz besonderen Menschen mit Hörbeeinträchtigung, kann ich mich einfühlen.

Den ganzen Tag, zu jeder Zeit und in jeder Situation voll konzentriert und angespannt zu sein, dazu pausenlos wechselnde akustische Hörbedingungen zu erfahren, ergeben ein komplexes Konstrukt, das für eine andere Person kaum erklärbar oder nachzuvollziehen scheint.

 

Das subjektive Empfinden,

die zur Verfügung stehenden Ressourcen,

aber auch der Grad der Hörbeeinträchtigung,

spielen in der Alltagsbewältigung eine entscheidende Rolle.

 

Aufgrund dieser Folgerungen ist es meiner Meinung nach entscheidend, dass Betroffene einen offenen Umgang mit der Hörschädigung finden können;  zum einen um anderen damit helfen zu können, zum anderen aber, sich selbst das Leben dadurch erheblich zu erleichtern.

Eine aufgeklärte Gesellschaft, die sich gegenseitig stützen und unterstützen kann, ist für alle Krankheiten dieser Welt von großem Wert.

Hierbei denke ich nicht nur an die Früherkennung, Beratung zu hilfreichen Medikamenten oder Hilfsmitteln, Selbsthilfegruppen, vielmehr an eine Form der Kommunikation und einen offenen Umgang im Alltag, einem tiefen Verständnis füreinander ohne Vorurteile.

Gebe Deine Kenntnisse, dein Fachwissen weiter und räume die Vorurteile zum Thema Hören auf:

  • Hören hat primär nichts mit dem Alter zu tun, rund die Hälfte aller Hörgeschädigten sind berufstätig oder im Kinder-, Jugendalter
  • Ein Hörgerät oder Cochlea-Implantat ermöglichen nicht das Hören eines gut Hörenden (bei einer Seheinschränkung hingegen ermöglicht die Brille gutes Sehen)
  • Schlechtes Hören hat nichts mit der Intelligenz zu tun
  • Nicht die LAUTSTÄRKE sondern eine angemessene Sprechgeschwindigkeit und eine deutliche Artikulation sind zum Verstehen entscheidend

In meiner Arbeit erlebe ich mehrfach die einhergehende psychische Komponente einer Hörschädigung, geprägt durch wenig Rücksicht und Verständnis durch das Umfeld, dem Gefühl ausgeschlossen zu sein, belächelt und für beschränkt gehalten zur werden.

Dies zu durchbrechen, gelingt nur aus eigener Kraft.

Mit diesem Beitrag möchte ich allen, die es wahrhaftig verstehen können, da sie es selbst erleben,

Mut zusprechen

Meine Achtung aussprechen,

Meine „Glückspyramide“ vorstellen, welche aus der intensiven Arbeit mit Hörgeschädigten, vorwiegend CI-Trägern, entstanden ist. Immer wieder werde ich mit „Sternstunden“ beschenkt, Therapieeinheiten die vielmehr sind als das.

Gemeinsame Stunden auf Augenhöhe, in denen zwei Experten Wertvolles entdecken.

 

Glückspyramide:

 

Werde zum Hörexperten, denn niemand kennt dein Hören so gut wie du

Sei nicht nur rücksichtsvoll mit anderen, sondern auch mit dir selbst

Beschäftige dich mehr mit Lösungswegen und Möglichkeiten

Lenke deinen Blick ab vom Hören, mache Platz für anderes

Vergleiche dich nicht mit anderen, aber tausche dich aus

Konzentriere dich auf die Menschen die dir gut tun

Gewinne Sicherheit und Vertrauen in dein Hören

Versuche deine Art der Entspannung zu finden

Finde was sinnvoll und stärkend für dich ist

Sei selbstwirksam, nicht fremdbestimmt

Fordere ein was für dich wichtig ist

Und sei nicht zu bescheiden

Kommuniziere offen

Vermeide Stress

..

.

Eine nützliche Veränderung bewirken zu können lag mir schon am Herzen, bevor ich die
therapeutische Laufbahn und das systemische Coaching für mich entdeckte. In diesem Sinne hoffe ich, dass ein Funken zu DIR überspringt.

 

 

 

 

 

 

 

 

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Mit SSD in der Schule – ein Gastbeitrag von Jonas K.

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Wenn es eine Konstante in meinem Leben gibt, dann ist es mein Gehör. Es funktionierte noch nie und dieser Defekt begleitet mich mein Leben lang bis zu diesem Zeitpunkt, an dem ich diese Worte schreibe. Keine Angst, ich werde mich ich folgenden nicht darüber auslassen, wie schlimm alles doch war. Das wäre ja auch gelogen. Man lernt vieles, was andere nicht lernen und man lebt auch anders. Mir geht es in diesen Texten darum, dass ich Leidensgenossen und Angehörigen Tipps geben kann, dass ich ihr Leben etwas unkomplizierter machen kann.

Eine Konstante in meinem Leben, welche sich jedoch vor kurzem in Luft aufgelöst hat, war die Schule. Förderschule, Grundschule, Realschule und Gymnasium mit Abitur – ich hab da schon so ziemlich alles gesehen was es gibt. Dazu gehören auch viele Fehler seitens der Lehrkräfte, seitens mir und seitens meiner Mitschüler.

Als SSD – Betroffener hatte ich die klare Empfehlung, dass ich nach Trier in die Wilhelm-Hubert-Cüppers Schule gehen soll – eine klassische Gehörlosenschule. Damit verbunden einen Schulweg von 80km – unmöglich. Trotzdem habe ich die Schule für ein paar Tage besucht. Die Erfahrungen, welche ich dort machen konnte, haben meine Eltern darin bekräftig, dass ich eine Regelschule besuchen soll und zusätzliche Förderung nachmittags Zuhause bekomme – solange diese notwendig ist. Zweifelsohne die richtige Entscheidung, auch wenn mich interessieren würde, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn es anders gekommen wäre.

Die Grundschule habe ich also wie (hoffentlich) jeder von uns besucht und eine Sache fällt mir besonders auf, wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke: Mir war es nicht wirklich bewusst, dass ich nur auf einer Seite höre. Ich habe mir zu keinem Zeitpunkt darüber Gedanken gemacht. Ich erinnere mich, dass ich überrascht war, als ich erfuhr, dass ich der einzige Schüler auf der Schule mit einer solchen Behinderung war. Es war für mich Normalität.

Das kann ich aber nicht von den Menschen um mich herum sagen. Meine Lehrerin hat sich wacker geschlagen, sie hatte auch schon einiges an Berufserfahrung aber auch sie hat die Fehler gemacht, die ich heute als klassische Fehler von Lehrern, die es nicht besser wissen und nur gut meinen, ansehe.

Beispielhalft sind hier Situationen, in denen ich einen Tadel bekam, da ich nicht gehört habe, dass ich gerufen worden bin, dass ich leise sein sollte, dass der Lehrer den Raum betreten hatte, dass ich beim Nachbarn nach der Aufgabe fragen musste, solche Dinge eben. Dinge, die nicht angenehm sind. Iich hab mir da aber nie was daraus gemacht.

Fehler waren natürlich auch, dass sie einfach gegen die Tafel gesprochen hat, wodurch bei mir nur noch ein unangenehmes Schallwirrwarr ankam (warum das so schlimm ist erkläre ich in einem anderen Text). Aber das hielt sich auch in Grenzen.

Alles in allem war die Grundschulzeit eher unspektakulär und meine Schwerhörigkeit hat mich kaum beeinträtigt. Ich war ein Kind und habe das gemacht, was Kinder eben so machen. Der Punkt, an dem ich mich mit Abstand am meisten geärgert habe war, dass meine Schwerhörigkeit Teil der Begründung war, warum ich nicht das Gymnasium besuchen sollte. Eine absolute Fehleinschätzung, wenn man es heute betrachtet.

Vielleicht war man einfach nur zu vorsichtig und wollte mich nicht überfordern. Ich bin kein Freund davon. Fordern, solange man nicht überfordert ist.

Die Realschulzeit war ein harter und nicht gewollter Cut. Viele Lehrer waren überrascht von mir, wussten nicht so richtig, wie sie eben diesen Drahtseilakt der richtigen Rücksicht schaffen sollen. Nach ein paar Jahren erkennt man diesen Typus Lehrer sofort, und das ist per sé auch nicht schlimm. Wenn ich mich in deren Situation versetzten würde, dann wäre das ganze wahrscheinlich nicht anders. Man merkt allerdings auch schnell, welche Lehrer sich ähnlich wie meine Grundschullehrerin verhalten und das ganze recht gut schaffen (manche Situationen sind immer ungünstig, da will ich die Goldwage nicht rausnehmen) und wer nicht so richtig weiß, wie er sich zu verhalten hat. Das endet dann in dauerhaften “vor mir stehen”, damit ich auch alles mitbekomme ebenso wie ständigem Augenkontakt – beides will kein Schüler. Da ich jemand war, dessen Mitarbeit zu den besten zählte, gab sich das ganze jedoch auch irgendwann, die Lehrer sahen das ganze mehr so, wie ich es in der Grundschule gesehen habe. Alles andere wäre auch mehr oder weniger lächerlich, da ich dauerhaft der Klassenbeste war.

Eine neue Problematik machte sich jedoch mit dem älterwerden breit. Wie ich es früher nicht gemerkt hatte, dass etwas anders ist, so haben meine Mitschüler es auch nicht gemerkt. Und will ich nicht abfällig über Realschulen und deren Schüler spreche – ich war ja selbst mal einer – aber, sagen wir es so: Ich war dort nicht sonderlich beliebt. Es war die völlig falsche Schule für mich, ich war gut und bekam trotzdem noch Hilfe von manchen Lehrern (was mir zunehmend unangenehm wurde, was jedoch trotzdem sinnvoll war, z.B. ein Sitzplatz in der ersten Reihe). Das Hörgerät, was ich zu dieser Zeit trug, war ein weiterer Grund, warum ich nicht dazugehörte. Es war ein Stempel, der mich als anders markierte. Für manche Menschen ist das kein Problem, für andere schon. Ich will das aber nicht alles auf das Hörgerät schieben, da gehört mehr dazu. Zu jedem, der mit einem Mono zu tun hat, kann ich aber nur sagen: Reduziert diesen Menschen nicht auf das eine Ohr. Achtet auf andere Dinge, Dinge, welche diesen Menschen auch wirklich auszeichnen und unterschätze sie nie, weil sie nur ein Ohr haben. Das sagt im Idealfall genau nichts über den Menschen aus.  Leider haben meine Mitschüler das damals nicht verstanden. Vielleicht hat es ihnen aber auch nur niemand erklärt.

Was dann hängen bleibt ist dann eigentlich nur der Satz in der letzten Woche, dass ich das Abitur sowieso nicht schaffen werde.

Was konnte ich also nun von einem Gymnasium erwarten? Altbau, ehemaliges Kloster, 3, 4 Meter hohe Räume, schlechte Akustik in fast allen Räumen, vor allem in der Aula.

Auf jeden Fall Verständnis und Interesse. Dort habe ich das erste Mal Menschen erklären können, was genau mein Problem ist und was sie und ich dagegen tun können (was Alexander hier ja auch schon getan hat). Wirklich befasst mit dem Thema „hören“ habe ich mich selbst erst seit der Oberstufenzeit am Gymnasium. Es war ein völlig anders Leben, weniger geordnet, schneller und mit der Veränderung kam die Schwierigkeit, meinen Lebensinhalt auf das eine Ohr auszurichten. Man muss mutig sein, andere darauf aufmerksam machen und wissen, wo man hingehen sollte und wo nicht (dazu an anderer Stelle mehr).

Ich erinnere mich an Essen in einem Restaurant mit, in dem ich nahezu nichts von dem verstanden habe, was gesagt wurde, weil die Leute, mit denen ich da war, “auf meiner falschen Seite” saßen. Das war mein Schicksal, wenn ich 2 Minuten zu spät kam, nicht nur an diesem Abend. Aber heute würde mir das heute nicht mehr passieren. Ich war vielleicht feige, vielleicht etwas überfordert, aber trotzdem hätte ich mit jemanden den Platz tauschen sollen. Und wenn das nicht geht, dann ist das nicht mehr meine Gesellschaft. In jedem Fall der vielleicht unangenehmste Abend, den ich je erlebt habe.

Auf die Schule lässt sich das ganze 1 zu 1 übertragen. Jetzt waren es nicht mehr die Lehrer, die groß Rücksicht genommen haben, sollten sie ja auch nicht. Jetzt war es an mir, alles zu verstehen. Das ging mal mehr, mal weniger gut. In jedem Fall saß ich nach und nach in allen Räumen irgendwann auf dem Platz, wo ich am besten hören konnte. Früher gab es hier noch die zwei Typen von Lehrer: die einen fragten, wo man sitzen soll, die anderen wollten nicht, dass man gegen die heilige Sitzordnung verstößt. Hier war es einfach egal, kurz: so, wie es ein soll. Mit 17, 18 und 19 Jahren sollte man langsam auch selbstständig werden, das Ganze sollte auch gefördert werden.

Abschließen will ich an diejenigen, die sich fragen, ob der Besuch einer Regelschule mit nur einem Ohr möglich ist sagen, dass das grundsätzlich eine Entscheidung ist, die vom Kind selbst anhängig ist. Ich glaube aber, dass man das mit der richtigen Unterstützung und mit ein wenig Glück mit der Schule selbst, schaffen kann. Das Abitur habe ich selbst im März dieses Jahres absolviert – in den Top 5 aus 113 Abiturienten. Was würde meine Grundschullehrerin wohl dazu sagen, wenn sie wüsste, wie daneben sie lag? Egal.

An alle Monos selbst kann ich daher auch nur sagen, dass ihr euch nie sagen lassen sollt, dass ihr etwas nicht könnt. Wichtig ist, ob man etwas will. Wenn ihr einen anderen Weg als ich gehen wollt, dann ist das auch völlig in Ordnung. Sprecht mit euren Eltern, euren Freunden und Ärzten und trefft dann eine nicht voreilige Entscheidung über eure Schullaufbahn.

Ich hoffe, ich konnte einigen Menschen mit diesem Text helfen. Ich plane weitere Texte, unter anderem eine Serie der Orte, welche für einseitig taube Menschen am schlimmsten sind. Wer noch Fragen/ Anregungen/ Wünsche hat, der kann sich bei mir unter jonas.k.996@live.de melden.

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Liebe Mono-Community,

ich hoffe ihr hattet ein besinnliches Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr!

Da ich momentan (mal wieder) sehr viel beruflich und privat um die Ohren habe, komme ich nicht mehr wirklich zum Blog schreiben, obwohl ich noch soooo viele Themen offen habe und ständig neue hinzukommen. Es ist mir wichtig auf jede einzelne eurer Zuschriften zu antworten, das hat für mich Priorität.

Deshalb, damit unsere Community wächst und gedeiht und die Informationslage sich weiter für die Monos und Angehörigen verbessert, würde ich mich freuen, auch weitere Beiträge von anderen Betroffenen zu erhalten, die ich veröffentlichen darf.

Falls du dich engagieren möchtest und etwas zum Thema einseitige Taubheit in deinem Namen/Synonym veröffentlichen möchtest, schicke mir doch deinen Beitrag oder deiner persönlichen Geschichte zu. Bitte vergiss nicht deutlich zu machen, wenn dieser veröffentlicht werden soll.

Ich sage schon einmal vielen Dank und wünsche euch ein gesundes Jahr 2016!!!