Inspiriert durch mehrere tiefgründige Gespräch habe ich beschlossen, meine Gedanken zum Themenfeld Jammern niederzuschreiben. Ich persönlich empfand es häufig als Herausforderung, jemanden beim Jammern über vermeintliche Lappalien zuzuhören. Häufig klinkte ich mich dann aus dem Gespräch aus und suchte das Weite. Reagierte ich da übertrieben empfindlich oder hart und muss an meiner Empathie arbeiten? Oder war diese Abneigung manchmal gerechtfertigt? Ich habe mich viel mit dem Thema Jammern in schweren Lebensphasen auseinandergesetzt und zum Glück Lösungswege für die Rolle des Betroffenen und des Gesprächspartners gefunden und dadurch meinen inneren Frieden mit dem Thema schließen können.
Das Thema Jammern ist sehr vielschichtig. Zunächst einmal möchte ich klar stellen, dass in meiner Definition das Wort Jammern, entgegen des allgemeinen Gebrauchs, nicht nur als negativ konnotiert betrachtet werden darf. Vor diesem Hintergrund möchte ich erörtern: Was sind die unterschiedlichen Motivationsgründe für Menschen zu Jammern?
1) Jammern als temporäres Überdruckventil der Seele
Für den Menschen ist Jammern ein Überdruckventil, um persönliche Dinge zu verarbeiten. Teile der Psyochologie gehen sogar so weit, dass das Jammern nach einem Schicksalsschlag zwingend notwendig ist zur Seelenreinigung, damit keine weiteren emotionalen Schäden dadurch ausgelöst werden. Jammern ist aus diesem Aspekt betrachtet eine, für den Menschen, wichtige, ja sogar notwendige Gefühlsäußerung mit produktiven Eigenschaften für das Individuum. Ich persönlich bemühe mich tendenziell das Positive zu sehen und in Lösungen zu denken. Nach meiner schlagartigen Erkrankung stellte auch ich mir zeitweise die Fragen: Wieso ich? Warum? Hätte es verhindert werden können?
Halten wir fest: Jammern ist ein natürliches Überdruckventil der Seele, das temporär einen positiven Nutzen besitzen kann. Manche gehen dabei introvertiert, andere extravertiert vor. Beides ist aus meiner Sicht zulässig und Charaktersache. Diese Form des Jammerns ist temporär auf einen Verarbeitungsprozess begrenzt.
Doch wie groß muss die Ursache für das Jammern sein, damit das Überdruck-Jammern gerechtfertigt ist?
Hier lautet die ernüchternde Antwort: Der Maßstab ist natürlich individuell und man darf sich keine Wertung anmaßen. Natürlich existieren für Menschen Probleme, die ich nicht in dieser Intensität nachvollziehen kann. Das sind häufig Dinge, die z.B. weder existenzbedrohend, noch alternativlos und nur von begrenzter Dauer sind. Es wäre jedoch anmaßend, den eigenen Maßstab und die eigenen Leidensgrenzen auf andere anzulegen! Das wäre egozentrisch und wertend. Der Gegenüber empfindet ja tatsächlich das Problem als Problem, somit ist das Problem für ihn eine Realität!
Zur Veranschaulichung:
Treiben wir diesen Gedankengang auf die Spitze. Was wäre, wenn die Existenzberechtigung für Jammern damit verknüpft ist, dass nur jemand jammern darf, dem ein größeres Leid widerfahren ist als seinem Gegenüber? Dann dürfte nur ein armes Schwein auf dieser Welt berechtigt jammern, der das größte Leid von allen erfährt.
Fazit Überdruck-Jammern:
Das Überdruckjammern wird introvertiert oder extravertiert ausgelebt und hat zeitlich limitiert eine produktive Rechtfertigung, da es als Überdruckventil der Seele agiert. Der Auslöser des Jammerns darf moralisch nicht von Gegenüber in Frage gestellt werden, wenn es sich dabei um eine gefühlte Realität des Jammernden handelt. Ist man selbst in der Phase des Überdruck Jammerns sollte man versöhnlich mit sich umgehen und es auch für sich zulassen. Sobald der „Druck“ jedoch auf ein aushaltbares Maß innerlich gesunken ist sollte man die eigene Opferrolle verlassen und nach vorne schauen.
Selbsthilfe Überdruck-Jammern:
Hierbei hat mir im oben genannten konkreten Beispiel der Pflegefallsituation geholfen, mich darauf zu besinnen, was ich noch kann und den Fokus weg vom Verlust zu richten.
Was ist heute besser? Was wird sich wohl noch verbessern? Was ist nicht betroffen von der Akutsituation? War es vielleicht sogar Glück im Unglück?
Dass diese Denkweise je nach schwere der Situation umso schwieriger und der Weg dort hin umso steiniger sein kann, ist dabei selbstverständlich. Das ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass es sich lohnt ihn zu gehen anstatt zu resignieren und stehen zu bleiben.
Fremdhilfe Überdruck-Jammern:
Als Gesprächspartner sollte man den Jammernden ernst nehmen und seine Empfindungen nicht klein oder wegzureden versuchen. Auch sofort mit Lösungsansätzen zu kommen muss dabei nicht hilfreich sein. Einfach erstmal aktiv zuhören und für den anderen da sein kann wahre Wunder bewirken. Anschließend kann man beginnen, den Jammernden auf seinem Weg zu begleiten und vorsichtig zu lenken. Gehen muss diese Person den Weg jedoch selbst. Ein Bemitleiden und „Oh Gott, du Armer“ und „Wie schlimm“ empfinde ich nicht als hilfreich. Ein aufrichtiges „Es tut mir Leid, dass du diesen Weg gehen musst, aber ich bin für dich da“ kann Balsam für die Seele sein.
2) Jammern als Konversationsbaustein
Andere Menschen wiederum verwenden Jammern als Gesprächsbaustein, wie manche das Thema Wetter. Gemeinsames Jammern „Der neue Chef verlangt viel zu viel von uns“ kann die zwischenmenschliche Beziehung auf sehr einfache Art und Weise stärken.
Fazit Konversations-Jammern:
Ich denke, auf dieses Jammern kann ohne Probleme verzichtet werden und man sollte seinem Gegenüber alternative Gesprächsbausteine anbieten.
3) Ich Jammere, also bin ich
Bei anderen ist Jammer zu einer Lebenseinstellung geworden, was daran zu erkennen ist, dass nicht nur über das eigene Schicksal, sondern über die Politik, die Gesellschaft, die äußeren Umstände etc., kurz einfach über alles ständig gejammert wird. Die Opferrolle kann verleiten, da sie verdammt bequem und einfach ist. Zuneigung kann dadurch kassiert werden. Leider wird dabei von den Betroffenen häufig übersehen, dass die eigene Opferrolle verhindert, Zufriedenheit zu erlangen! Man verbaut mit der uneingeschränkten Opferrolle den eigenen Weg zum inneren Glück, das nicht von Außen kommen kann! Jeglicher Handlungsspielraum zur Verbesserung der Situation wird von einem selbst abgesprochen.
Fazit Lebenseinstellungs-Jammern
Die Opferrolle ist bequem, jedoch nicht produktiv und notwendig. Man kann als Lösung seinem Gegenüber Fragen stellen, was er gegen sein Problem unternehmen möchte und an die gemeinsame Verantwortung appellieren.
Das sind meine persönlichen Überlegungen zum Thema Jammern, die mir erfolgreich helfen, individuell das Thema betrachten und bewerten zu können.