Résumé: Wie ist das Hören nach dem 1. Monat mit CI bei einseitiger Taubheit?

CI - Erstanpassung und Reha, So ist einseitige Taubheit!

Etwas mehr als ein Monat ist nun vergangen, seitdem das Cochlea Implantat mein taubes Ohr wiederbelebt hat. Zeit für ein erstes, persönliches Résumé.

Retroperspektivisch betrachtet bin ich sehr froh, mich FÜR das CI entschieden zu haben, weil:

1) mein Tinnitus tritt deutlich in den Hintergrund, solange das CI aktiv ist

2) mein Sprachverständnis ist besser geworden

3) die Ansprechbarkeit auf der tauben Seite ist gegeben

4) ein Gefühl von Raumklangempfindung ist bei mir wieder vorhanden

5) Geräuschüberempfindlichkeit ist reduziert auf der gesunden Seite

zu 1) Boah, nun fällt mir es richtig auf, wie sehr der Tinnitus der tauben Seite meine Wahrnehmung eigentlich beeinträchtigt. Schalte ich das CI kurz aus beim Gespräch, so strengt es mich mehr an diesem zu folgen. Der Kontrast ist sehr deutlich spürbar, da der Tinnitus sofort nach Deaktivierung in voller Stärke ins Bewusstsein drängt.

Zur Veranschaulichung, was in meiner Tinnitus Wahrnehmung passiert:

A) CI aus:

Primärwahrnehmung (selbst bei lauter Umgebung) ist Tinnitus

Sekundärwahrnehmung ist akustische Umwelt (gesundes Ohr)

B) CI ein:

Primärgeräusch ist akustische Umweltwahrnehmung (gesundes Ohr)

Sekundärgeräusch ist elektrische Umweltwahrnehmung (über das CI)

Tertiärgeräusch ist Tinnitus

Was für ein Wandel! Der Tinnitus wird nicht unbedingt weniger, sondern er rutscht mehrere Ebenen in der Wahrnehmung nach hinten. Was für ein Segen!

=> besseres Sprachverständnis

=> geringere Anstrengung

=> geringere Ermüdung

2) Das Sprachverständnis ist deutlich verbessert, was sich auch in den Sprachtests zeigt. So kann ich auch bei Störgeräuschen, z.B. in der Innenstadt, den Gesprächen deutlich besser folgen. Die akustische Wahrnehmung ist weniger mit Anstrengung verbunden.

3) Meinen Kopf halte ich nun immer öfter gerade in Gesprächen und muss ihn nicht mehr zur Seite drehen. Der Körper wird mir diese verbesserte Haltung hoffentlich danken. Die Körpersprache ist dadurch auch wieder verbessert, da eine gedrehte Kopfhaltung in der Kommunikation fehlinterpretiert werden kann vom Gegenüber. Ich bin beim Spazierengehen z.B. mit meiner Frau auch nicht mehr auf eine Seite beschränkt (gesundes Ohr zu ihr), wobei ich das weiterhin bevorzuge. Ich hatte nun schon öfters die Situation, dass ich es rein über die CI Wahrnehmung erkannte, wenn ich angesprochen wurde auf der tauben Seite. Natürlich suche ich mir es weiterhin zu Hause aus, ob ich etwas verstanden habe, wenn meine Frau mich ruft 😉

4) Das Gefühl „Ich sitze in einer Schachtel und habe einen Korken im tauben Ohr“ ist weg und der Klang fühlt sich wieder voller und umfassender an. So kann ich beim Autofahren wieder Musik hören, ohne dass mich das zu sehr ablenkt. Das Klavierspielen habe ich ebenfalls wieder angefangen. Nach den fürchterlichen Klangeindrücken nach der einseitigen Ertaubung hatte ich dieses frustiert vorübergehend aufgegeben…

5) Nach meiner Ertaubung musste ich temporär mit Gehörschutz zu Hause herumlaufen (im Vergleich zu drei kleinen Jungs ist ein startender Düsenjet nichts 😀 ), da sich eine laute Geräuschumgebung wie seelische Gewalt anfühlte. Nun stressen und verletzen mich laute Geräusche nicht mehr überdurchschnittlich. Das Cros habe ich nach der Arbeit immer abgelegt (da war nicht dieser Effekt), das CI trage ich permanent.

Sport und Sauna

Ich habe wieder angefangen (8 Wochen nach OP), regelmäßig Sport zu treiben (Fitness und Laufen). Ich merke keine Beeinträchtigungen durch das CI. Im Gegenteil: es ist unglaublich toll, beim Joggen wieder Windgeräusche und das Auftreten der Füße auf beiden Ohren zu hören! Irgendwie bin ich dadurch auch etwas besser im Gleichgewicht. In die Sauna gehe ich ebenfalls wieder (ohne Sprachprozessor versteht sich, wobei das mit Einschränkungen mit dem Aqua+ Kit wohl möglich sein soll).

Schlafen und Wundheilung

Schlafen ohne Probleme ist ebenfalls wieder auf der OP Seite möglich. Eine Berührungsempfindlichkeit der Narbe liegt nur noch ganz schwach vor.

Gesellschaftliches Leben

Nach meiner einseitigen Ertaubung habe ich große Menschenansammlungen und laute Umgebungsgeräusche vermieden. Nun war ich wieder mit meiner Frau und Freunden einmal in einer Kneipe und einem Restaurant. Wenn ich den Sprachprozessor abnehme, ist der Tinnitus sofort im Vordergrund und ich erhalte ein beklemmendes Gefühl (sogar bei dieser lauten Geräuschkulisse!). Die Umgebungsgeräusche erdrücken einen förmlich. Schnell wieder den SP ran an den Kopf und ich fühle mich wieder viel wohler und verstehe die Gespräche deutlich besser!

Arbeit

Auf der Arbeit empfinde ich mich leistungsfähiger mit CI und ermüde weniger bei Gesprächen. Meine Kollegen sind super interessiert an dem Ding an meinem Kopf (Ingenieure lieben eben Technik 🙂 ). Wenn ich erzähle, dass ich nun nur noch bis 1,5 Tesla zugelassen bin, dann habe ich die Lacher auf meiner Seite (das finden aber glaube ich nur Leute witzig, die mit Magnetfeldern arbeiten 😉 ).

Wow Effekt:

Stellenweise habe ich den Eindruck, auf beiden Seiten die gleiche Geräuschwahrnehmung zu besitzen. Was für ein tolles Gefühl, wie mit zwei gesunden Ohren! War mir gar nicht bewusst, dass das möglich ist mit einem CI!

Zum Beispiel:

beim Hören von elektrischer Musik

das Plätschern von Wasser

das Wehen von Wind um die Ohren

Fazit 1. Monat mit aktiviertem Cochlea Implantat:

Unterm Strich ist meine Lebensqualität als einseitig Ertaubter deutlich mit Cochlea Implantat gestiegen. Das Cros war in der Vergangenheit eine kleine Hilfe (konnte nur bei Punkt 3 helfen), das CI ist verglichen dazu ein deutlicher Quantensprung.

Die Klangqualität des CI ist deutlich schlechter und anders als die akustische Wahrnehmung über das gesunde Ohr (keine Illusionen da machen!).

Jedoch stört mich das nicht, auch wenn sich ein leichtes Hallempfinden der beiden Wahrnehmung bei mir einstellt (CI Ohr ist leicht zeitversetzt). Ich empfinde es von Anfang an als Bereicherung und trage das CI den ganzen Tag!

Ich kann zum Glück ein sehr positives Fazit für mich persönlich ziehen, nach all den Höhen und Tiefen im Vorfeld. Ich kann nun gar nicht mehr nachvollziehen, wieso ich mir so unglaublich viele Gedanken im Vorfeld machte, ob ich die Operation wagen soll. Hätte ich doch nur die Informationen schon früher gehabt 🙂

Nichts desto trotz möchte ich wie üblich betonen, dass das meine persönlichen Erfahrungen sind und leider keine Allgemeingültigkeit besitzen. Die medizinischen Voraussetzungen (vor allem die Ertaubungsdauer) sind einfach zu verschieden, genau so wie der individuelle Lernprozess und der psychologische Umgang mit dem Thema.

Ich hoffe, ich kann Mut allen Unentschlossenen mit meinen Erfahrungen machen, wenigstens zur Voruntersuchung zu gehen und die medizinische Machbarkeit abzuklären. Alles andere ist sonst nur Spekulation im Vorfeld. Die VU kostete mir lediglich 20 € Zuzahlung und zwei Tage Untersuchungen mit warmen Mahlzeiten und netten Leuten dazwischen 😉 Dafür kann sie der mögliche erste Schritt in ein neues akustisches Leben bedeuten. Nur Mut!

Diskussion zu CI bei einseitiger Taubheit findest du hier im DCIG Forum.

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EA Tag 5: Kann man hören wie Latein lernen?

CI - Erstanpassung und Reha

Und schon bricht der bereits letzte Tag meiner Erstanpassung an. Wahnsinn, wie schnell diese Woche vergangen ist! Der erste Griff geht in die Trockenbox neben meinem Bett und der Sprachprozessor wird mit einem inzwischen geübten Handgriff angelegt.

Hallo, hallo, hallo, Guten Morgen taubes Ohr, Hörnerv erwache! Die ersten Minuten nach dem Anlegen empfinde ich die Lautstärke des CIs noch etwas laut, das legt sich jedoch schnell. Das Geräusch des fließenden Wassers beim morgentlichen Waschen entzückt mich noch immer aufs neue. Wahnsinn, wie dynamisch das Wasser doch durch das Blechohr klingt.

Ich habe generell den Eindruck, dass ich unglaublich achtsam geworden bin, seitdem das CI aktiv ist. Obwohl die Klangqualität, verglichen mit dem akustischen Hören, bei weitem nicht mithalten kann, entdecke ich neugierig viele akustische Nuancen! Diese fielen/fallen mir über das akustische Ohr überhaupt nicht in der Intensität bewusst auf, sondern werden einfach selbstverständlich konsumiert und nicht weiter beachtet. Etwa die genannte Dynamik eines  Wasserstrahls im Waschbecken oder die vibrierende Charakteristik des Klangs einer Kirchenglocke. Das Cochlea Implantat verhilft mir trotz seiner reduzierten Klangqualität zu einer bewussten Differenzierung der akustischen Umwelt und somit zu einer Erweiterung meiner wahrgenommenen Hörfähigkeit. Klingt komisch, ist aber irgendwie so…

Logopädie

An meinem letzten Tag der EA möchte ich noch einmal richtig gefordert werden. Die angehende Logopädin führt heute wieder die Sitzung durch und liest mir einen unbekannten Text vor. Das gesunde Ohr ist dabei selbstverständlich mit einem lauten Rauschen aus einem Kopfhörer wirkungsvoll abgelenkt, sodass ich nur rein über das CI die Sprache wahrnehmen kann. Mit geschlossenen Augen lausche ich dem wilden Rauschen auf der einen, der Mickey Mouse ähnlich wahrgenommenen Stimme auf der anderen Seite. Den Text kann ich gut aufnehmen und einzelne unverständliche Wörter kann ich über den Kontext erschließen. Toll, so ein Resultat am Ende der EA habe ich mir im Vorfeld wirklich nicht erträumt. Die Erwartungen möglichst tief ansetzen hat sich gut bewährt, sodass ich nur positiv überrascht wurde. Der Text handelt von einer Forschungsreise. Nach jedem Absatz soll ich den Inhalt wiedergeben.

Nun fällt mir eines ganz bewusst auf: Ich verstehe zwar während des Zuhörens recht gut den Text, jedoch ist es für mich unglaublich schwer, den Inhalt über mehrere Sätze hinweg im Gedächtnis zu behalten. Mein Gehirn ist scheinbar so mit der Datenaufnahme und Interpretation beschäftigt, dass wenig Denkleistung fürs Ablegen im „Arbeitsspeicher“ übrig bleibt. Trotz meiner ersten Erfolge dieser Woche wird mir nun einmal mehr bewusst, dass noch ein längerer Weg der neuronalen Neuvernetzung (einmal wieder nach dem Gehör- und Gleichgewichtsverlust) für mich zu gehen ist. Doch als Bergsteiger und Marathonläufer bin ich gewohnt lange Wege zu gehen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren 😉

Den vollen Nutzen eines Cochlea Implantats erlangt man ja bekanntlicherweise erst nach einer längeren Lernphase. Daher ist meine Rehaphase auch auf drei Jahre verteilt. Viele vergleichen den cognitiven Entwicklungsprozess auch mit dem Erlernen einer neuen Sprache. Im Vorfeld habe ich mir das irgendwie etwas wie Latein lernen, also durch harte Arbeit, vorgestellt. Nun nach der EA habe ich mehr das Gefühl, dass das größtenteils ein spielerischer unterbewusster Prozess ist.

Natürlich kann man durch Übung (z.B. jeden Tag eine Stunde mit dem Kabel einstöpseln) den Prozess des Erlernens beschleunigen. Eine gute Möglichkeit hierfür ist die Nutzung des Online-Angebots der deutschen Welle. Hier findet man langsam gesprochene Nachrichten, Reportagen, etc. mit Skript zum parallelem Lesen. Eine wirklich tolle Plattform als Quelle zum Üben zu Hause!

Ich empfinde den Entwicklungsprozess mit CI aber mehr wie das Lernen eines Kindes durch Erleben . Da die Geräusche des Alltags ebenso einen Lerneffekt hervorrufen können wie gezielte Übungen, lernt mein Gehirn allein durch das Tragen des SP stets dazu. Achtsamkeit und Neugierde helfen dabei, den Prozess zu beschleunigen.

Die Auszubildende frägt mich, ob ich mich als Patient für ihren Fallbericht zur Verfügung stelle. Da habe ich natürlich nichts dagegen und wir verabreden uns für den Mittag zu einem kurzen Gespräch.

Anpassung Technik

Um im kommenden Alltag für die unterschiedlichen akustischen Situationen gut gerüstet zu sein, stellt der Techniker zusammen mit mir ein paar Programme auf der Fernbedienung ein. Diese kann ich nach belieben selbst aktivieren. Zudem wird die Lautstärke erneut angepasst. In der nächsten Zeit soll ich ungefähr alle drei Tage eine Lautstärkenstufe nach oben gehen, bis es für mich nicht mehr angenehm ist. Ich starte mit 1 von 10 und bin gespannt, wie weit ich bis zu meinem nächsten Aufenthalt im Rahmen der Reha kommen werde. Die jetzige Stufe 1 hört sich noch recht laut und hallend an, die Eigenstimme gewöhnungsbedürftig. Die Zeit wird zeigen, welche Fortschritte noch möglich sind.

Interview Fallbeispiel

Gerne stehe ich als Patient für einen Ausbildungsbericht der  angehenden Logopädin zur Verfügung. Wir treffen uns in der Cafeteria und unterhalten uns. Ich erzähle ihr meine medizinische Vorgeschichte (wird echt mal Zeit, dass ich es schaffe hier einen Beitrag darüber zu verfassen!) und über meine ersten Erfahrungen mit dem CI. Ich denke, ich bekomme das recht prägnant auf den Punkt, da mir das Schreiben im Blog als Reflexion dient. Ist ja auch praktisch für sie, einen umfassenden Blog als Informationsquelle zu ihrem Patienten nutzen zu können 🙂 Nachdem wir mit den Themen durch sind, verspricht sie mir auf Nachfrage, den Bericht per Mail zukommen zu lassen.

Wir verabschieden uns und ich begebe mich auf die Autobahn Richtung zu Hause.

Byebye EA!

Die Erstanpassung hat meine Erwartungen bei Weitem übertroffen! Zwar klingt das erste Hören über das CI noch surrealer als die Simulationen. Das stört aber nicht! Neben Wörtern ist mir das Verstehen von ganzen Sätzen nach dieser ersten Woche möglich. Die Klangvielfalt hat mich trotz der vermuteten reduzierten Qualität positiv überrascht. Der Tinnitus scheint in den Hintergrund zu rücken, so lange ich den SP trage. Das ist alles so viel besser als einseitig taub zu sein! Lang lebe die Technik und die Medizin, die dieses Erlebnis ermöglicht.

Ich freue mich darauf, den Sprachprozessor meiner Frau und Kindern zu zeigen und sie an meiner Freude über den neuen Lebensabschnitt teilhaben zu lassen. Zudem bin ich überaus neugierig, wie mein privates und berufliches Umfeld auf den SP reagieren wird  und auf die hoffentlich vielen Entdeckungen in der neuen akustischen Welt, die vor mir liegen!

Diskussion zu meiner Erstanpassung findest du hier im DCIG Forum.