Ein halbes Jahr CI, das macht DEN Unterschied

CI - Alltag mit dem Sprachprozessor, CI - Erstanpassung und Reha

Momentan sitze ich im Garten des Implant Centrums Freiburg und erfreue mich meines freien Therapienachmittags und eines strahlend blauen Himmels! Inzwischen bin ich (glaube ich) zum vierten Mal zur Anpassung (Reha) hier. Wieder drei Tage Auszeit vom Alltag und Fokusierung auf das Thema CI. Ein halbes Jahr ist „die Erstinbetriebnahme“ als Cyborg her, wieder einmal höchste Zeit für ein aktualisiertes Fazit:

Nachdem zu Beginn sehr große Fortschritte und Veränderungen (z.B. Lautstärkenanpassung) für mich spürbar waren, so ist der Alltag zum Glück wieder angekommen. Dieser war seit der schlagartigen einseitigen Ertaubung nie wirklich zurückgekehrt, erst die CI OP brachte die Kehrtwende.

Die ersten Monate waren dominiert vom Heilungsprozess und viel ungewohnten, neuen Sinneseindrücken. Nun merke ich eigentlich gar keine große Besonderheit mehr im Alltag, außer ich vergesse meinen Sprachprozessor anzulegen 🙂 Diese Aussage meine ich sehr positiv, da ich mir nach der Ertaubung den Alltag so sehr wieder wünschte, aber aus meiner akustischen Einschränkung, der permanenten Dominanz des Tinnitus über das Bewusstsein und der permanenten Erschöpfung einfach nicht aus meinem mentalen Loch steigen konnte.

Diese Phase erscheint mir nun überwunden, die alten Sinneswahrnehmungen sind fast vergessen und das elektrische helle Gebrabbel in meinem linken Ohr scheppert einfach herrlichen den ganzen Tag liebevoll vor sich hin 🙂 Das mag jetzt vielleicht komisch für dich klingen, wenn du selbst kein CI hast, aber dieser Zustand ist wirklich angenehm, wenn man sonst ohne CI gefühlt in einer Schachtel mit einem wild summenden Heer von tausend flimmernden Fernseher mit gezogenem Antennenkabel sitzt (ja, die Älteren unter euch erinnern sich vielleicht an die Zeit vor digitalem TV 🙂 ).

An das häufigere Nachfragen habe ich mich gewöhnt, Arbeitskollegen und Familienmitglieder laufen z.T. automatisch immer auf meiner gesunden Seite und nachts genieße ich es mit dem gesunden Ohr im Kissen akustisch total von der Umwelt (d.h. schreiende Zwillinge) isoliert einzuschlafen. Keine Angst, meine Frau kümmert sich um die Kleinen unter der Woche, sie werden also noch gehört 😉 Am Wochenende bin ich dafür dran 😉

In der Familie und auf der Arbeit sitze ich wieder gefühlt voll im Sattel, pendle täglich 40 km mit dem Rad (hab mein Auto verkauft und ein Trike angeschafft), werke wieder die Wochenenden durch und fühle mich endlich wieder (fast voll) leistungsfähig.

Die Fortschritte mit dem CI sind nicht mehr wirklich spürbar, lediglich alle paar Monate werden die besseren Hörergebnissen (OLSA, Freiburger, etc…) in Tests auf der Reha sichtbar. So auch diesmal, wo ich im Oldenburger Satztest (Verstehen von Wörtern über das CI) statt 76 % (nach der Erstanpassung) auf stolze 90 % kam. Das Richtungshören klappt weiterhin gar nicht, wobei mich das nicht mehr in Stress versetzt wie früher. Wenn ich ein Geräusch räumlich nicht zuordnen kann (also immer), drehe ich ein paar Mal meinen Kopf hin und her, wenn ich denke es lohnt sich. Wenn ich es dann immer noch nicht orten kann, dann ist es halt so 🙂 Frage z.B. regelmäßig mein Umfeld, wo mein klingelndes Handy liegt 😀

Unterm Strich habe ich nun endlich die Phase erreicht, in der ich meinen Frieden mit meiner körperlichen Beeinträchtigung und der neuen „Realität“ gefunden habe. Wenn ich über die Erkrankung nachdenke, so fühlt sich das nun wie eine Art Rückblick an, eine Erinnerung an eine (zum Glück) vergangene sehr schwere, aber abgeschlossene Zeit.

Ich sehe sogar inzwischen die positiven Aspekte an dieser Lebenserfahrung, da sich mein innerster Kern, meine Weltanschauung und meine Beziehung zu meiner Familie sehr stark verändert haben. Meine Prioritäten im Leben haben sich klar herauskristallisiert und angebliche „Probleme“ relativiert. Ich konnte durch viel Reflexion Neues über mich und meine Umwelt erfahren und sehe Dinge nun klarer. Der wichtigste Schlüssel, den ich für mich gefunden habe, heißt Achtsamkeit.

Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt, dass man stärker aus einer überstandenen Krise herausgeht als hinein. So fühlt sich das nun für mich auch an. Das ist DER entscheidende Unterschied, den das CI für mich ausmacht. Nicht einzelne Verbesserungen in Hörtests (ich bin ja nicht taub und fühle mich auch nicht schwerhörig) sind für mich relevant, sondern dass ich der Ohnmacht der Ertaubung etwas entgegensetzen kann! Ich habe wieder zu einem Zustand gefunden, mit dem ich mein Leben meistern kann und mich nicht mehr beeinträchtigt fühle. Danke Cochlea Implantat!

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