Wie ist ein Tag ohne CI? Wie überstehe ich den nur?!

CI - Alltag mit dem Sprachprozessor, So ist einseitige Taubheit!

Montag Morgen. Leichte Müdigkeit. Zwillinge haben in der Nacht Rambazamba gemacht. Kaffee nur noch koffeinfrei da. Zu spät aufgewacht. Schnell, schnell fertig machen. Tschüss Jungs, tschüss Frau, tschüss Hund. Auto, los….

So, nun legt sich der Stress und ich rolle gemütlich Richtung Arbeit. Doch warum hab ich nur dieses merkwürdige Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt? Naja egal, Radio an. Hmmm.. bin ich so kaputt, dass ich mich überhaupt nicht konzentrieren kann? Ich bekomme einfach nichts mit von dem Interview, dass da gerade läuft. Auto fahren und den Inhalt verarbeiten, das klappt gerade nicht wirklich. Scheiß Müdigkeit…

Und was ist das? Oh man, der Tinnitus knetet mein Restbewusstsein durch, was nur geht. Der ist mir schon ewig nicht mehr so aufgefallen beim Autofahren. Da hilft das CI schon super …………. das CI!

Jetzt macht alles Sinn, klar Montag Morgen kann ein Grund sein für eine schlechte Konzentration und zwei Nachtmonster ebenfalls. Aber das ist ja mein normaler Alltag, der mich sonst nicht so beeinträchtigt. Ich habe in der Eile das CI vergessen anzulegen. Umdrehen? Oh, da ist ein riesiger Stau auf der Gegenfahrbahn, da müsste ich dann anstehen. Naja, was solls… Werde den Tag schon rumbekommen. Habe ich ja auch über ein Jahr lang geschafft. Das Radio mache ich nun erstmal aus, damit ich mich besser auf die Straße konzentrieren kann. Der Tinnitus gibt den Beat vor 🙂

Rein ins Büro, die Kollegen sitzen bereits bei der Frühstückspause zusammen. Bin ja etwas später heute. Puh ist das anstrengend. Sonst verstehe ich eigentlich alles in unserer Runde, doch heute ist das anders. Drehe ständig meinen Kopf hin und her. Was? Wie bitte? Oh man, fühle mich wie 90 gerade. Ein Kollege hat eine besonders tiefe und ruhige Stimme. Da hilft selbst die stärkste Kopfdrehung und Konzentration nichts.

Pause vorbei, nun erstmal ein paar Berechnungen in Excel programmieren. Ein Genuss für mich eigentlich für einen Montag Morgen (nein, kaum zu glauben aber das ist wirklich keine Ironie 😉 ). Doch die Schaltvorgänge gehen heute etwas weniger flüssig in meinem Oberstübchen. Nach einem Kaffee mit viel Koffein gehts wieder besser.

Mittags lasse ich die Kantine ausfallen. Viele Menschen in einem großen Raum und kein CI ist suboptimal. Da bleibe ich lieber im ruhigen Büro, will ja Kraft tanken und nicht verlieren.

Nachmittags halte ich eine Präsentation. Ich setze mich gleich an die Pole Position, damit mein akustisches Ohr den kompletten Raum orten kann. Da ich überwiegend rede, macht die Präsentation richtig Spaß und ich übertöne selbst den Tinnitus 😀

Nach dem Meeting spreche ich mit einem Kollegen, den ich in diesem Jahr noch nicht getroffen hatte. Moment, kurzer Seitenwechsel beim Laufen, damit mein gesundes Ohr auf der richtigen Seite ist. Wir unterhalten uns kurz über mein Wohlbefinden und ich erzähle ihm von der CI OP und wie froh ich über diesen Zugewinn an Lebensqualität bin. Unter Ingenieuren ist das technische Interesse immer sehr groß an dem Thema 😉 Leider kann ich ihm den Sprachprozessor und die Spule gar nicht zeigen, da ich diese ja vergessen habe.

Der Abend bricht an und ich beende den Arbeitstag. Mein Kopf brummt etwas, der Tinnitus summt fröhlich wie immer und ich fühle mich wieder richtig müde.

Zuhause angekommen begrüßen mich meine Frau mit den Kinder, der Hund und ….. mein CI! Da schlummert das Kleine in der Trockenbox. Sofort lege ich es an und zack, da ist das schöne neue Klingeln und Bimmeln! Nun fühle ich mich wieder vollständig. Merci, dass es dich gibt 🙂 Nun ab zu den Kindern!

Résumé: Wie ist das Hören nach dem 1. Monat mit CI bei einseitiger Taubheit?

CI - Erstanpassung und Reha, So ist einseitige Taubheit!

Etwas mehr als ein Monat ist nun vergangen, seitdem das Cochlea Implantat mein taubes Ohr wiederbelebt hat. Zeit für ein erstes, persönliches Résumé.

Retroperspektivisch betrachtet bin ich sehr froh, mich FÜR das CI entschieden zu haben, weil:

1) mein Tinnitus tritt deutlich in den Hintergrund, solange das CI aktiv ist

2) mein Sprachverständnis ist besser geworden

3) die Ansprechbarkeit auf der tauben Seite ist gegeben

4) ein Gefühl von Raumklangempfindung ist bei mir wieder vorhanden

5) Geräuschüberempfindlichkeit ist reduziert auf der gesunden Seite

zu 1) Boah, nun fällt mir es richtig auf, wie sehr der Tinnitus der tauben Seite meine Wahrnehmung eigentlich beeinträchtigt. Schalte ich das CI kurz aus beim Gespräch, so strengt es mich mehr an diesem zu folgen. Der Kontrast ist sehr deutlich spürbar, da der Tinnitus sofort nach Deaktivierung in voller Stärke ins Bewusstsein drängt.

Zur Veranschaulichung, was in meiner Tinnitus Wahrnehmung passiert:

A) CI aus:

Primärwahrnehmung (selbst bei lauter Umgebung) ist Tinnitus

Sekundärwahrnehmung ist akustische Umwelt (gesundes Ohr)

B) CI ein:

Primärgeräusch ist akustische Umweltwahrnehmung (gesundes Ohr)

Sekundärgeräusch ist elektrische Umweltwahrnehmung (über das CI)

Tertiärgeräusch ist Tinnitus

Was für ein Wandel! Der Tinnitus wird nicht unbedingt weniger, sondern er rutscht mehrere Ebenen in der Wahrnehmung nach hinten. Was für ein Segen!

=> besseres Sprachverständnis

=> geringere Anstrengung

=> geringere Ermüdung

2) Das Sprachverständnis ist deutlich verbessert, was sich auch in den Sprachtests zeigt. So kann ich auch bei Störgeräuschen, z.B. in der Innenstadt, den Gesprächen deutlich besser folgen. Die akustische Wahrnehmung ist weniger mit Anstrengung verbunden.

3) Meinen Kopf halte ich nun immer öfter gerade in Gesprächen und muss ihn nicht mehr zur Seite drehen. Der Körper wird mir diese verbesserte Haltung hoffentlich danken. Die Körpersprache ist dadurch auch wieder verbessert, da eine gedrehte Kopfhaltung in der Kommunikation fehlinterpretiert werden kann vom Gegenüber. Ich bin beim Spazierengehen z.B. mit meiner Frau auch nicht mehr auf eine Seite beschränkt (gesundes Ohr zu ihr), wobei ich das weiterhin bevorzuge. Ich hatte nun schon öfters die Situation, dass ich es rein über die CI Wahrnehmung erkannte, wenn ich angesprochen wurde auf der tauben Seite. Natürlich suche ich mir es weiterhin zu Hause aus, ob ich etwas verstanden habe, wenn meine Frau mich ruft 😉

4) Das Gefühl „Ich sitze in einer Schachtel und habe einen Korken im tauben Ohr“ ist weg und der Klang fühlt sich wieder voller und umfassender an. So kann ich beim Autofahren wieder Musik hören, ohne dass mich das zu sehr ablenkt. Das Klavierspielen habe ich ebenfalls wieder angefangen. Nach den fürchterlichen Klangeindrücken nach der einseitigen Ertaubung hatte ich dieses frustiert vorübergehend aufgegeben…

5) Nach meiner Ertaubung musste ich temporär mit Gehörschutz zu Hause herumlaufen (im Vergleich zu drei kleinen Jungs ist ein startender Düsenjet nichts 😀 ), da sich eine laute Geräuschumgebung wie seelische Gewalt anfühlte. Nun stressen und verletzen mich laute Geräusche nicht mehr überdurchschnittlich. Das Cros habe ich nach der Arbeit immer abgelegt (da war nicht dieser Effekt), das CI trage ich permanent.

Sport und Sauna

Ich habe wieder angefangen (8 Wochen nach OP), regelmäßig Sport zu treiben (Fitness und Laufen). Ich merke keine Beeinträchtigungen durch das CI. Im Gegenteil: es ist unglaublich toll, beim Joggen wieder Windgeräusche und das Auftreten der Füße auf beiden Ohren zu hören! Irgendwie bin ich dadurch auch etwas besser im Gleichgewicht. In die Sauna gehe ich ebenfalls wieder (ohne Sprachprozessor versteht sich, wobei das mit Einschränkungen mit dem Aqua+ Kit wohl möglich sein soll).

Schlafen und Wundheilung

Schlafen ohne Probleme ist ebenfalls wieder auf der OP Seite möglich. Eine Berührungsempfindlichkeit der Narbe liegt nur noch ganz schwach vor.

Gesellschaftliches Leben

Nach meiner einseitigen Ertaubung habe ich große Menschenansammlungen und laute Umgebungsgeräusche vermieden. Nun war ich wieder mit meiner Frau und Freunden einmal in einer Kneipe und einem Restaurant. Wenn ich den Sprachprozessor abnehme, ist der Tinnitus sofort im Vordergrund und ich erhalte ein beklemmendes Gefühl (sogar bei dieser lauten Geräuschkulisse!). Die Umgebungsgeräusche erdrücken einen förmlich. Schnell wieder den SP ran an den Kopf und ich fühle mich wieder viel wohler und verstehe die Gespräche deutlich besser!

Arbeit

Auf der Arbeit empfinde ich mich leistungsfähiger mit CI und ermüde weniger bei Gesprächen. Meine Kollegen sind super interessiert an dem Ding an meinem Kopf (Ingenieure lieben eben Technik 🙂 ). Wenn ich erzähle, dass ich nun nur noch bis 1,5 Tesla zugelassen bin, dann habe ich die Lacher auf meiner Seite (das finden aber glaube ich nur Leute witzig, die mit Magnetfeldern arbeiten 😉 ).

Wow Effekt:

Stellenweise habe ich den Eindruck, auf beiden Seiten die gleiche Geräuschwahrnehmung zu besitzen. Was für ein tolles Gefühl, wie mit zwei gesunden Ohren! War mir gar nicht bewusst, dass das möglich ist mit einem CI!

Zum Beispiel:

beim Hören von elektrischer Musik

das Plätschern von Wasser

das Wehen von Wind um die Ohren

Fazit 1. Monat mit aktiviertem Cochlea Implantat:

Unterm Strich ist meine Lebensqualität als einseitig Ertaubter deutlich mit Cochlea Implantat gestiegen. Das Cros war in der Vergangenheit eine kleine Hilfe (konnte nur bei Punkt 3 helfen), das CI ist verglichen dazu ein deutlicher Quantensprung.

Die Klangqualität des CI ist deutlich schlechter und anders als die akustische Wahrnehmung über das gesunde Ohr (keine Illusionen da machen!).

Jedoch stört mich das nicht, auch wenn sich ein leichtes Hallempfinden der beiden Wahrnehmung bei mir einstellt (CI Ohr ist leicht zeitversetzt). Ich empfinde es von Anfang an als Bereicherung und trage das CI den ganzen Tag!

Ich kann zum Glück ein sehr positives Fazit für mich persönlich ziehen, nach all den Höhen und Tiefen im Vorfeld. Ich kann nun gar nicht mehr nachvollziehen, wieso ich mir so unglaublich viele Gedanken im Vorfeld machte, ob ich die Operation wagen soll. Hätte ich doch nur die Informationen schon früher gehabt 🙂

Nichts desto trotz möchte ich wie üblich betonen, dass das meine persönlichen Erfahrungen sind und leider keine Allgemeingültigkeit besitzen. Die medizinischen Voraussetzungen (vor allem die Ertaubungsdauer) sind einfach zu verschieden, genau so wie der individuelle Lernprozess und der psychologische Umgang mit dem Thema.

Ich hoffe, ich kann Mut allen Unentschlossenen mit meinen Erfahrungen machen, wenigstens zur Voruntersuchung zu gehen und die medizinische Machbarkeit abzuklären. Alles andere ist sonst nur Spekulation im Vorfeld. Die VU kostete mir lediglich 20 € Zuzahlung und zwei Tage Untersuchungen mit warmen Mahlzeiten und netten Leuten dazwischen 😉 Dafür kann sie der mögliche erste Schritt in ein neues akustisches Leben bedeuten. Nur Mut!

Diskussion zu CI bei einseitiger Taubheit findest du hier im DCIG Forum.